Schneller Werkstofftest bei der Blechbearbeitung reduziert Pannen und Ausschuss
Fraunhofer-Forschende haben ein neuartiges Verfahren für die Eingangsprüfung von Blechen in der Fertigung entwickelt. Dabei werden bewährte Belastungstests mit einer KI-Software kombiniert. Die Software erstellt noch vor dem ersten Bearbeitungsschritt eine Prognose über das Verhalten des Werkstoffs während der Fertigung und beurteilt, ob er den Qualitätsanforderungen genügt. Das Risiko von Pannen und der Ausschuss sinken deutlich.
Der Werkstoff Blech wird heute in nahezu allen Industriebranchen verwendet. Dabei steht eine große Vielfalt an Legierungen, Dicken, Beschichtungen und Farben zur Verfügung. Die Bleche werden zumeist in großen Rollen, sogenannten Coils, oder in Tafeln angeliefert. Auf dem Weg zum Endprodukt wird das Material in verschiedenen Fertigungsschritten bearbeitet. Voraussetzung für die problemlose Weiterverarbeitung in der Fertigung ist daher eine Qualitätskontrolle, die gewährleistet, dass der Werkstoff allen geforderten Spezifikationen genügt.
Um das zu ermöglichen, hat das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU jetzt den „Werkstofftester“ vorgestellt. Damit lassen sich die Bleche vor dem ersten Bearbeitungsschritt schnell und unkompliziert prüfen. Die Forschenden haben bewährte mechanische Belastungstests weiterentwickelt und mit einer Machine-Learning-Software kombiniert. Diese erstellt eine differenzierte Prognose über das Verhalten des jeweiligen Materials bei allen Bearbeitungsschritten in der nachfolgenden Fertigung.
Dabei wird zunächst ein kleiner Teil des Blechs abgeschnitten und in eine Prüfmaschine gelegt. Hier drückt ein Stempel das Blech bis zu einer vordefinierten Tiefe ein. Ein Kraftsensor misst den Kraft-Weg-Verlauf. Er registriert dabei, wie viel Kraft nötig ist, um den Werkstoff bis zu einem bestimmten Punkt zu verformen. „Aus diesen Messergebnissen zieht die Analyse-Software Rückschlüsse über das Verformungsverhalten unter Druck und beurteilt die Tauglichkeit des Blechs für den geplanten Fertigungsprozess“, erklärt Matthias Riemer, Projektleiter am Fraunhofer IWU.

In der Prüfmaschine drückt ein halbkugelförmiger Stempel das Werkstück bis zu einer definierten Tiefe ein.
© Fraunhofer
Damit die Software eine tragfähige Prognose erstellen kann, wird bei neuen Blechsorten zunächst eine Vielzahl von einzelnen Proben in der Prüfmaschine verformt. Die daraus generierten Messwerte des Kraft-Weg-Verlaufs dienen als Trainingsdaten für die Machine-Learning-Algorithmen. So entsteht ein Verhaltensprofil des Blechtyps als Referenz. Beim Test einer Blechrolle aus einer anderen Charge des gleichen Materials gleichen die ML-Algorithmen deren Messwerte mit dem vorhandenen Profil ab und visualisieren das Ergebnis in einer Grafik.
Alle Beteiligten in der Fertigung erhalten eine differenzierte Aussage zur Belastbarkeit und zum Verhalten des Materials. Mit technischen Details müssen sie sich dabei nicht befassen. Ein Ampelsymbol in der Werkstofftester-Software gibt Auskunft, ob das Blech „in Ordnung“, „grenzwertig“ oder gar „Ausschuss“ ist. Sollte die Analyse ergeben, dass das gelieferte Blech nicht den vereinbarten Spezifikationen entspricht, kann das Unternehmen weitere Tests an der Ware durchführen und sie dann unter Umständen sogar an den Lieferanten zurückgeben oder auch den Fertigungsprozess anpassen.
Die Software für dieses Projekt wurde von den Expertinnen und Experten am Fraunhofer IWU selbst programmiert. Sie funktioniert mit den gängigen Steuerrechnern der Prüfanlagen in den Fabriken. Der gesamte Prüfvorgang ist bereits nach 15 Sekunden abgeschlossen.
Der Werkstofftester aus dem Fraunhofer IWU stellt eine Abkehr von bisherigen Prüfkonzepten dar, bei denen das Blech nach dem Belastungstest optisch auf Risse oder Defekte untersucht wurde. „Wir betrachten nicht das Material, sondern untersuchen die Messergebnisse mithilfe von ML-Algorithmen. Diese Prognose ist zuverlässiger und differenzierter als ein herkömmlicher Belastungstest“, sagt Riemer. Die Tests sind beispielsweise auch dann sinnvoll, wenn die angelieferten Coils für längere Zeit bei wechselnden Temperaturen oder im Sommer in einer nicht klimatisierten Halle gelagert wurden. Dabei können Alterungserscheinungen im Material auftreten, etwa bei bestimmten Aluminiumlegierungen.
