Neues System zur durchgängigen Überwachung in Lieferketten
Werden für die Produktion erforderliche Güter beschädigt oder zu spät geliefert, kann das zu Nacharbeiten, Eiltransporten oder gar Produktionsstillständen führen. Aufwand und Kosten dafür können mithilfe einer lückenlosen Qualitätsüberwachung in der Lieferkette (Supply Chain) deutlich reduziert werden. Genau damit hat sich das erfolgreich abgeschlossene Projekt SaSCh (Digitale Services zur Gestaltung agiler Supply Chains) beschäftigt.
Forschungspartner in dem Verbundvorhaben war das Bremer Institut für Produktion und Logistik an der Universität Bremen (BIBA). Entwicklungs- und Anwendungspartner waren die Unternehmen BLG LOGISTICS (Bremen), Bosch (Stuttgart/Bühl) und queo (Dresden) sowie die Standardisierungsorganisation GS1 Germany (Köln). Das Projekt hatte einen Gesamtumfang von 4,5 Millionen Euro. Es wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Technologieprogramm „PAiCE – Digitale Technologien für die Wirtschaft“ gefördert und vom DLR Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR, Bonn) betreut.
Nach dreijähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit kann das Konsortium mit einer technischen Innovation aufwarten: einem cyber-physischen System, das mobile Sensoren und Gateways, 3D-Bildverarbeitung, Cloud-Plattformen und digitale Services integriert. Es ermöglicht die durchgängige digitale Erfassung qualitäts- und zustandsrelevanter Daten in der Lieferkette. Die Projektergebnisse wurden am Beispiel von Zulieferteilen für die Automobilindustrie erfolgreich geprüft und sind auch auf andere Branchen übertragbar.

Der Modell-Demonstrator des Projektes SaSCh in der BIBA-Forschungshalle.
Um die komplexen Abläufe veranschaulichen zu können, wurde ein Modell-Demonstrator angefertigt. Er stellt den Einsatz mobiler Sensoren an Produkten, Ladungs- und Transportmitteln in verschiedenen Lieferketten-Prozessen wie Transport, Lagerung und Umladung dar. Mehrere Modell-Lkw und -Container bewegen mit realen Sensoren bestückte Modell-Kleinladungsträger. Die Sensoren nehmen den Status der Waren auf.
„Die Überwachung der Qualität von Bauteilen, Komponenten und Produkten entlang der ganzen Lieferkette erfolgt durch mobile Sensoren und stationäre Kameras. Sie erfassen und digitalisieren qualitätsrelevante Umwelteinflüsse“, sagt BIBA-Wissenschaftler und Projektleiter Michael Teucke. „Die Daten werden in einer Cloud, also in einer Datenwolke gespeichert.“ Der unternehmensübergreifende Austausch der Ereignisdaten erfordert die Verwendung einer einheitlichen Sprache, hier nach dem EPCIS-Standard. „EPCIS“ steht für „Electronic Product Code Information Services“. Er wurde von der Standardisierungsorganisation GS1 entwickelt und im Rahmen des Projektes erweitert.
Auf Basis der technischen Lösungen und der dadurch möglichen Datenauswertung wurden unter der Federführung des BIBA im Projekt innovative Geschäftsmodelle für verschiedene smarte digitale Services zur Sicherung von Produktqualität und Just-in-Time- und Just-in-Sequence-Anlieferungen entwickelt. Zu den Services zählen unter anderem die Nachverfolgung (Tracking und Tracing) von Produktkomponenten in multimodalen Transportketten (d. h. Kombination per Schiff, Bahn und Lkw etc.) sowie automatische Benachrichtigungen an Zulieferer und Logistik-Dienstleister bei Auftreten unerwarteter Ereignisse. Das ist der Fall, wenn Waren zum Beispiel absehbar verspätet beim Empfänger ankommen oder sie unterwegs außergewöhnlichen Bedingungen wie extremen Temperaturen, Feuchte beziehungsweise Nässe oder Schocks durch Erschütterungen ausgesetzt waren. Das System bedient sich dafür diverser Sensoren zur Registrierung und der smarten Verarbeitung der Daten zu den Umgebungsbedingungen.
Die Potenziale einer sensorischen Lieferkettenüberwachung im Hinblick auf eine Verbesserung ihrer logistischen Leistungsfähigkeit wurden mittels eines Simulationsmodells einer multimodalen Zulieferkette bestimmt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass die zeitnahe Erfassung von Störungen an verschiedenen Transportstufen Rückmeldungen beschleunigt und die Planungssicherheit erhöht.
Eine weitere wesentliche Aufgabe lag in der Entwicklung einer lernenden Bildverarbeitungslösung zur Teilezählung und -klassifikation. Diese ergänzt den mobilen Sensor am Ladungsträger, der die Position und Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Erschütterung, Licht oder Luftfeuchtigkeit erfasst. Die Bildverarbeitung mit stationären Tiefensensoren (3D-Kameras) an relevanten Punkten entlang der Lieferkette nutzt darüber hinaus die optischen Eigenschaften (Geometrie) zur Erkennung der Komponenten im Ladungsträger. So bedarf es zur Teileerkennung keiner externen einzelnen Markierungen mehr wie Schriftaufdruck, Barcode oder RFID. Die Bildverarbeitung kombiniert dabei Sensordaten mit sogenannten „gefalteten Künstlichen Neuronalen Netzen“ (KNN), einer Form des maschinellen Lernens, die auch als „Deep Learning“ bezeichnet wird. Durch diese Künstliche Intelligenz lernt das System stets dazu.
Die Forscher haben dafür eine offene integrierbare 3D-Scanner-Lösung entwickelt. Sie ermöglicht das Scannen der Bauteile. Aus den Scan-Daten werden automatisch Trainingsdaten für die Bildverarbeitung erzeugt – zum Beispiel zur Erkennung von Teilen aus beliebigen Betrachtungswinkeln. Sowohl diese stationären als auch die mobilen Sensoren senden ihre Daten in die Cloud. In ihr werden die von den verschiedenen Quellen in der Lieferkette empfangenen Daten intelligent miteinander verknüpft. Nach der smarten Datenverarbeitung erhalten die beteiligten Akteure in Produktion und Logistik vom System Informationen und Handlungsempfehlungen in Echtzeit.
Nachdem im Projekt nun die Grundlagen erforscht und entwickelt worden sind sowie ein Prototyp erstellt wurde, arbeiten die Projektpartner nun an einer Lösung für den Markt.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. Michael Freitag
Telefon: 0421 218-50 002
E-Mail: fre@biba.uni-bremen.de
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Michael Teucke
Telefon: 0421 218-50 159
E-Mail: tck@biba.uni-bremen.de
