Modulares Konzept ermöglicht die einfache Migration
Michael Volz
Unternehmensberater und Senior Advisor für HMS Industrial Networks GmbH
Time Sensitive Networking (TSN) gemäß IEE 802.1 wird zukünftig als neue Basistechnologie für die Echtzeitkommunikation eine wichtige Rolle in der Automatisierungstechnik spielen. Alle führenden Feldbusorganisationen sowie zahlreiche Automatisierungshersteller haben ehrgeizige Zeitpläne für die Integration des TSN-Protokolls in die jeweiligen Standards und Automatisierungsgeräte angekündigt.
Gerätehersteller stehen damit erneut vor der Herausforderung, die Kommunikationsschnittstelle ihrer Automatisierungsgeräte an die neue Technologie anzupassen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: komplette Neuentwicklung oder Einsatz einbaufertiger Kommunikationsmodule.
TSN wurde ursprünglich für die Echtzeit-Übertragung von Audio und Video-Daten in Ethernet-Netzwerken konzipiert. Schnell wurde jedoch klar, dass TSN aufgrund seiner guten Echtzeiteigenschaften sich auch sehr gut für andere Anwendungsbereiche wie die schnelle Echtzeitkommunikation in Fahrzeugen, dem Finanzwesen (Börse) oder der Multimediawelt (Verteilung von Audio und Video synchron über das Netzwerk) sowie für die Echtzeitkommunikation in industriellen Anwendungen eignet.

Mit einbaufertigen Anybus-Kommunikationsmodulen lässt sich TSN in Automatisierungsgeräten nachrüsten.
Die Echtzeiterweiterung TSN darf man nicht als einen einzelnen Standard in Form einer Spezifikation verstehen, welche Ethernet echtzeitfähig macht. Vielmehr ist TSN ein Baukasten aus aktuell zehn Standards für einzelne Mechanismen und Funktionen. Die Standardisierung in der IEE ist noch nicht vollständig abgeschlossen und einige Teile befinden sich noch in der Spezifikationsphase.
Je nach Anwendungsbereich gilt es, ein Subset aus den Einzelstandards zu definieren, mit dem sich die gewünschte Funktionalität realisieren lässt. TSN spezifiziert im Wesentlichen Funktionen für die Ebene 2 (Data Link Layer) des ISO/OSI- Schichtenmodells und bildet somit die Basisfunktionen für die Echtzeitübertragung verschiedener Anwendungsprotokolle wie IP, TCP, UDP, OPC UA, MQTT einschließlich industrieller Anwendungsprotokolle wie Profinet oder Ethernet/IP. Die TSN-Mechanismen alleine sind also noch keine Komplettlösung für den standardisierten Datenaustausch zwischen Geräten verschiedener Hersteller. Erst im Zusammenspeil mit den passenden Anwendungsprotokollen ist die Anwendung sinnvoll.
Brücke zwischen IT und OT
Dank seiner guten Echtzeiteigenschaften kann TSN anlagenweit – sowohl in den IT-Netzwerken als auch in der Produktion (Ope-rational Technology, OT) eingesetzt werden. TSN kann so einen wichtigen Beitrag zur systemübergreifenden Kommunikation, der so genannten IT/OT-Integration leisten, und ist somit eine wichtige Basistechnologie bei der Realisierung innovativer Automatisierungslösungen nach Industrie-4.0-Prinzipien. Weitere Vor-teile sind die Robustheit auch bei hoher Netzwerklast, geringe Latenzzeiten bei der Kommunikation sowie gute Plug&Work-Eigenschaften. Die volle Leistungsfähigkeit spielt die Technologie erst in Gigabit-Ethernet-Netzwerken aus.
In der Profibus-Nutzerorganisation (PNO) hat man die Bedeutung von TSN als zukünftigem Echtzeit-Ethernet-Standard früh erkannt. Ähnlich wie bei der Migration von Profibus zu Profinet verfolgt die PNO das Ziel, die neuen Möglichkeiten in das Gesamtsystem zu integrieren, ohne die Anwendersicht auf das Netzwerk zu verändern.
So arbeitet die PNO derzeit an der Integration von TSN als Alternative zu den RT/IRT-Protokollen im Data Link Layer von Pro-finet. Profinet kann so die Vorteile von TSN nutzen, ohne die Kernfunktionen bei der Übertragung von Prozessdaten, Alarm- und Diagnosedaten zu verändern. Wie erfolgreich dieser Ansatz ist, hat sich bei der Migration von Profibus zu Profinet gezeigt, wo es der PNO ebenfalls gelungen ist, die Sicht der Anwendungsprogramme auf das Netzwerk zu erhalten, ohne auf die neuen Möglichkeiten der Ethernet-Kommunikation zu verzichten.
Über die Integration von TSN hinaus arbeitet die PNO auch daran, die Funktionen von OPC UA für geeignete Anwendungen wie HMI und die Controller-Controller-Kommunikation in die Profinet-Spezifikation zu integrieren. Ähnliche Ansätze bei der Integration verfolgen auch die Industrieverbände für Ethernet/IP, Ethercat, Powerlink und Modbus.
Die vielversprechenden neuen Möglichkeiten von TSN, OPC UA und dem IoT-Protokoll MQTT lassen sich jedoch erst dann nutzen, wenn die neuen Protokolle auch in der Kommunikationsschnitt-stelle des Automatisierungsgerätes implementiert wurden. Die Implementierung der komplexen Funktionen ist nicht trivial und erfordert fundiertes Expertenwissen.
Während OPC UA und MQTT sich – sofern genügend Speicher-platz vorhanden ist – meist als Software-Update realisieren lassen, ist im Fall der TSN-Integration ein komplettes Hardware-Redesign der Kommunikationsschnittstelle im Automatisierungsgerät erforderlich. Der Hauptgrund dafür liegt in den ausgeklügelten Synchronisations- und Scheduling-Mechanismen, die ohne spezielle Hardware-Lösungen (Protokollchips) nicht realisiert werden können.
Zudem nutzt TSN auch Gigabit-Ethernet, während die heutigen industriellen Ethernet-Protokolle überwiegend auf 100-Mbit-Technologie beruhen. Für einen Gerätehersteller ist der Über-gang in die neue Kommunikationslandschaft entweder mit einem aufwändigen Hardware- und Software-Entwicklungsprojekt verbunden, oder er entscheidet sich für eine modulare Lösung auf Basis einbaufertiger Kommunikationsmodule.
Als Alternative zur Eigenentwicklung einer TSN-fähigen Kommunikationsschnittstelle bietet sich ein Einsatz der Anybus-Kommunikationsmodule von HMS an. Die Module sind einbau-fertige Bus-Schnittstellen für Automatisierungsgeräte. Sie enthalten alle Hard- und Software-Funktionen einer leistungsfähigen Kommunikationsschnittstelle. Es gibt sie für alle gängigen Feld-bus- und Industrial-Ethernet-Protokolle. Neue Module mit TSN-Integration sind bereits in Entwicklung.
