Fehlalarm oder Ernstfall? Sensorsystem erkennt Ursache von Störungen

Muss ein Wartungsteam sofort handeln, wenn Sensoren einer Industrieanlage Warnsignale senden? Anhand von Signalmustern erkennt ein neues Sensorsystem die Störungen und kann sie so entsprechenden Ursachen zuordnen – und Fehlalarm vom Ernstfall unterscheiden. Ein Team von Experimentalphysiker Uwe Hartmann an der Universität des Saarlandes wertet dafür seit Jahren Signalmuster aus: Das gesammelte Wissen über Mustererkennung machen sie mit KI-Methoden und maschinellem Lernen universell einsetzbar und entwickeln eine Software, die bei Störmeldung an Zäunen, aber auch Windkraft- oder Industrieanlagen für Klarheit sorgt.

Windkraftanlagen werden von einer Vielzahl von Sensoren in allen denkbaren Funktionen überwacht. Zeigen Messergebnisse beispielsweise größere Schwingungen der Rotorblätter an, ist das Wartungsteam alarmiert. Die Rotorblätter könnten vereist sein und eine Unwucht am Rad hervorrufen, oder das Getriebe könnte beschädigt sein und Vibrationen erzeugen. Es könnte aber auch alles eine harmlose Ursache haben – wie starke Windböen, die an der Gondel zerren. Das Rad würde sich dann unnötig abschalten und die lange Anfahrt eines Wartungsteams – bei Offshore-Windparks gar bis aufs Meer – wäre umsonst.

In solchen Fällen, aber auch bei Sensoren, die an schwer zugänglichen Industrieanlagen oder Maschinen vor gefährlichen Schwingungen warnen, könnte in Zukunft die Software eines neuen Sensorsystems für Klarheit sorgen: Die Arbeitsgruppe von Uwe Hartmann entwickelt an der Universität des Saarlandes ein Verfahren, das Sensordaten automatisch die jeweilige Ursache der Störmeldung zuordnet. „Dies erfolgt über Mustererkennung. Die Signalmuster der Sensordaten unterscheiden sich je nach Art der Störung. Durch unsere bisherigen Forschungen können wir etliche Arten von Erschütterungen, Schwingungsänderungen und Änderungen des Magnetfeldes einzelnen Ursachen zuordnen und von Fehlalarmen unterscheiden. Diese Erkenntnisse machen wir jetzt mit KI-Methoden übertragbar“, erklärt Uwe Hartmann, Professor für Nanostrukturforschung und Nanotechnologie.

Seit fast zwanzig Jahren erforschen Hartmann und sein Team Datenmuster von Sensorsignalen, so auch von Erschütterungen an Zäunen: Sie entwickeln unter anderem Sensorsysteme in Kabeln, die Zaunanlagen großflächiger Areale wie Flughäfen oder Lagerhallen überwachen können. Dafür grenzen sie Störungen wie Zerschneiden oder Überklettern der Zäune von Fehlalarmen etwa durch Wind oder Tiere ab. Dazu verwenden die Forscher Magnetfeldsensoren, deren Eigenschaften durch Weiterentwicklung immer sensibler und selektiver wurden. Sie nehmen in einem Umfeld von einigen Metern jede noch so kleine Änderung des Erdmagnetfeldes wahr. In normaler Umgebung, ohne Vakuum, tiefe Temperaturen oder Abschirmung und trotz Störquellen, spüren sie Magnetfelder auf, die annähernd eine Million Mal kleiner sind als das Erdmagnetfeld.

In Versuchsreihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von Störungen, wie hier mit Bällen. V.l.: Dr. Haibin Gao, Melvin Chelli, Ishwar Mudraje, Carsten Dennis Quint und Bharet Gulab Patil. Foto: Oliver Dietze

In Versuchsreihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von Störungen, wie hier mit Bällen. V.l.: Dr. Haibin Gao, Melvin Chelli, Ishwar Mudraje, Carsten Dennis Quint und Bharet Gulab Patil.
Foto: Oliver Dietze

Jetzt wurden von der Arbeitsgruppe zusätzlich Beschleunigungssensoren integriert, um die Empfindlichkeit der Messung noch weiter zu erhöhen. In zahlreichen Versuchsreihen simulierte das Team an Zäunen etliche Arten von Störungen. Die typischen Signalmuster, die dabei entstehen, ordneten sie den jeweiligen Ursachen zu. „Über Jahre hinweg haben wir unsere Verfahren optimiert, um die entscheidenden Daten sauber herauszulesen und von Störfaktoren und Datenrauschen abzugrenzen“, erklärt Physiker Haibin Gao aus Hartmanns Forscherteam. Anhand der charakteristischen Messwerte und Signalmuster können die Forscher nun genau erkennen, ob die Erschütterungen daher rühren, dass sich ein Mensch am Zaun zu schaffen macht oder ob sich doch nur ein Tier daran reibt, der Wind daran rüttelt oder ein Ball dagegen fliegt.

Diese Datenmuster – ob Fehlalarm oder Störfall – haben die Forscher mathematisch modelliert, in Algorithmen übersetzt und die Auswerteeinheit immer detailreicher programmiert und verfeinert. „Wir entwickeln Modelle, um mit maschinellem Lernen Sensordatenmuster zu identifizieren. Das System erkennt typische Muster, ordnet sie mithilfe intelligenter Algorithmen selbstständig Störungen zu und unterscheidet Rauschen und andere Ursachen“, erläutert der Informatik- und Elektrotechnik-Student Melvin Chelli, der in der Arbeitsgruppe zusammen mit den weiteren Studenten Ishwar Mudraje, Dennis Quint und Bharat Gulab Patil an der Arbeit beteiligt ist. „Da die gesamte Auswertung computergestützt erfolgt, kann sie modular für verschiedene Anwendungen angepasst werden. Die jeweiligen spezifischen Erschütterungsmuster kann sich das intelligente Sensorengeflecht quasi in Echtzeit selbst beibringen“, erläutert Uwe Hartmann. Bewertet dann das System die Lage etwa am Windrad auf See als wirklich ernst, alarmiert es via Bluetooth und Smartphone oder Tablet das Wartungsteam. Und zwar nur dann – und nicht bei blindem Alarm.

Kontakt:
Prof. Dr. Uwe Hartmann, Lehrstuhl für Nanostrukturforschung
und Nanotechnologie der Universität des Saarlandes:

Tel.: (0681) 302-3799 oder -3798; E-Mail: u.hartmann@mx.uni-saarland.de
Dr. Haibin Gao Tel: (0681) 302-3654; E-Mail: h.gao@mx.uni-saarland.de

2020-04-22 Fehlalarm oder Ernstfall? Sensorsystem erkennt Ursache von Störungen
undefined
Future Manufacturing