Arbeit 4.0: Digitalisierung als Chance für zukünftige Beschäftigung

Fabian Seus, VDMA Competence Center Arbeitsmarkt

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit und die Tätigkeiten der Beschäftigten werden kontrovers diskutiert. Die einen prognostizieren die Ersetzung menschlicher Arbeit auf breiter Linie – getrieben durch die exponentielle Zunahme von intelligenten, softwaregetriebenen Automatisierungsschritten. Die anderen verbinden mit Industrie 4.0 die Hoffnung auf neue Geschäftsfelder, eine Stärkung des Produktionsstandorts Deutschland und eine Sicherung der Beschäftigung.

Die Studie des World Economic Forum 2016 „The Future of Jobs“ versucht, Veränderungen der Arbeitsmärkte bis zum Jahr 2020 zu quantifizieren. Unter dem Strich werden voraussichtlich weltweit 5,1 Millionen Arbeitsplätze wegfallen. Die als Schreckensszenario verbreitete Meldung muss jedoch relativiert werden, denn die Analyse bezieht sich lediglich auf eine Befragung von Personalleitern aus global aufgestellten Unternehmen in neun Industriesektoren von 15 Ländern beziehungsweise Wirtschaftsgemeinschaften. Zudem bedeuten 5,1 Millionen Arbeitsplätze weltweit weniger als 0,3 Prozent der insgesamt betrachteten Arbeitsplätze. Schon eine Abkühlung der Weltkonjunktur kann zu einem solchen Effekt führen.

Viel öffentliche Aufmerksamkeit hat auch eine Studie von Frey und Osborne aus dem Jahr 2013 erfahren. Demnach seien in den USA 47 Prozent der Beschäftigten in Berufen tätig, die in den nächsten 10 bis 20 Jahren mit einer hohen Wahrscheinlichkeit (mehr als 70 Prozent) automatisiert werden können. In weiteren Studien wurde diese Automatisierungswahrscheinlichkeit auf Deutschland übertragen. Demnach seien hierzulande sogar 59 Prozent der Arbeitsplätze bedroht.

Der VDMA hält die Aussagen der genannten Studien bezogen auf Deutschland weiterhin für unbrauchbar. Maßgeblich ist die Unterscheidung, dass lediglich Tätigkeiten und nicht ganze Berufe als solche automatisierbar und digitalisierbar sind. Zudem bleiben positive Beschäftigungseffekte sowie Anpassungseffekte bei den Unternehmen und ihren Mitarbeitern in der Studie bewusst unberücksichtigt. Aufgrund der Analyse einzelner Tätigkeiten lässt sich daher nicht auf gesamtwirtschaftliche Effekte schließen.

Mensch und Maschine brauchen sich gegenseitig. Der Wandel der Arbeitswelt muss aktiv gestaltet und begleitet werden.

Mensch und Maschine brauchen sich gegenseitig

Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht die Arbeiten kritisch und hat eine eigene Studie an das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Auftrag gegeben. Das ZEW hat sich mit der Übertragung der Studie von Frey und Osborne auf Deutschland auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass lediglich 12 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland eine hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit aufweisen. Die Forscher stellen in ihrem Bericht klar, dass von einem reinen technologischen Automatisierungspotenzial nicht per se auch auf eine unmittelbare Gefährdung von Arbeitsplätzen geschlossen werden kann.

So schwierig der Blick in die Zukunft ist, so einfach ist der Blick in die Vergangenheit. Zum Ende des Jahres 2015 waren in Deutschland 43,49 Millionen Menschenerwerbstätig. Ein Rekord seit der Wiedervereinigung und dies trotz einer kontinuierlichen Automatisierung in den vergangenen Jahren. Deutschland weist die dritthöchste Roboterdichte der Welt auf (292 Roboter pro 10.000 Beschäftigte im verarbeitenden Gewerbe) und liegt damit hinter Korea und Japan weit vor allen anderen europäischen Industrienationen. Es zeigt sich: Arbeit wird produktiver und die industrielle Produktion wettbewerbsfähiger. Am Ende führt eine steigende Nachfrage nach Produkten auch zu einer steigenden Nachfrage nach Arbeitskräften.

Hinzu kommt: Menschenleere Fabriken kann es nicht geben. Spezifische menschliche Fähigkeiten, wie feinmotorische Fingerfertigkeit, Flexibilität und Urteilsvermögen, Erfahrungswissen und Vernunft sind und bleiben unersetzlich. Maschinen haben andere Stärken. Sie können beispielsweise schwere Gewichte halten oder einen konstanten Anpressdruck sicherstellen. Ein bedeutendes Optimierungspotenzial lässt sich also dort erschließen, wo in direkter Zusammenarbeit Mensch und Maschine ihre jeweiligen Stärken einsetzen können.

Professor Julie Shah, Interactive Robotics Group, Massachusetts Institute of Technology, bringt es am Beispiel von Robotern auf den Punkt: „Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei dieser Technologie nicht um das Ersetzen von Menschen geht. Es geht darum, die Stärken von Menschen und Robotern optimal zu nutzen, um höhere Stufen der Effizienz und Produktivität zu erklimmen, als dies der Mensch oder Roboter auf sich alleine gestellt können“.

Dennoch gilt natürlich: Die Digitalisierung wird die Aufgaben und Tätigkeiten der Beschäftigten verändern. Der Wandel in der Arbeitswelt vollzieht sich, aber er lässt sich gestalten. Eine zentrale Rolle nimmt der Bereich Bildung ein. Ob Aus-, Fort- und Weiterbildung oder Studium: Es sind alle Beteiligten gleichermaßen gefordert. Gemeinsam müssen Bedarfe ermittelt, Formate entwickelt und Freiräume für Bildung geschaffen werden. Unternehmen und Mitarbeiter, Politik und Wissenschaft, Gewerkschaften und Verbände haben als Partner die Möglichkeit, auf die bevorstehenden Veränderungen zu reagieren und die Arbeitswelt von morgen bereits heute positiv zu
gestalten.

2017-11-24 Arbeit 4.0: Digitalisierung als Chance für zukünftige Beschäftigung
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